Er war das Getränk der grossen Künstler des Fin de Siècle. In einem kleinen Schweizer Tal geboren, gelangte der Absinth in die weite Welt, wo er geliebt, verboten und wieder legalisiert wurde. Das Märchen von der psychoaktiven «fée verte» – zum Tag des Absinth, der in den USA am 5. März begangen wird.
Pablo Picasso, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Oscar Wilde, Edgar Allan Poe und Ernest Hemingway waren nicht die einzigen Berühmtheiten, die sich an der grünen, hochprozentigen Fee ergötzt haben. Manet, Degas und Oliva malten das Motiv des heruntergekommenen, einsamen Absinthtrinkers. 1910 wurde die smaragdgrüne Spirituose in der Schweiz verboten, vier Jahre später ereilte sie in Frankreich dasselbe Schicksal. Doch bevor der Absinth von den einen so heiss begehrt und den anderen so gründlich verachtet wurde, musste er erst den Weg aus einem Schweizer Grenztal in die weite Welt finden.
Val de Travers – Die Geburtsstätte des Absinths Absinth wurde erstmals um 1750 im Val de Travers hergestellt, dem länglichen Tal im Neuenburger Jura, das an Frankreich anstösst. Es war als Heilelexier gedacht, das aus mit Wermut versetztem Wein bestand. Der Siegeszug trat die Spirituose an, als der Franzose Henri-Louis Pernod 1805 eine grosse Destillerie in Pontarlier gründete. Er verliess seine kleine Brennerei im schweizerischen Couvet und machte sich auf, seinen Absinth der französischen Armee schmackhaft zu machen. Er wirke gegen Magen- und Darmkrankheiten, gegen Malaria und nicht zuletzt sollte er die Stimmung der Soldaten heben. Weil die Armee ein solch guter Abnehmer war, schossen in Frankreich die Absinth-Brennereien nur so aus dem Boden, die Firma Pernod steigerte ihren Ausstoss von täglichen 16 auf rund 20’000 Liter. 1860 war der Absinth nicht mehr aus den französischen Bars wegzudenken. Um 7 Uhr abends, zur «heure verte», rann die Grüne Fee diverse Kehlen herunter.
Absinth macht verrückt und blind: Ein Mythos wird geboren
Das grüne Getränk wurde nicht von allen gemocht. Eifersüchtig beobachtete die französische Weinindustrie den Aufstieg des Absinths. Machtlos sah sie zu, wie sich die Reblaus über ihre Reben hermachte und ihre Ernten zerstörte. Das führte dazu, dass der Weinpreis in schwindelnde Höhen stieg.
Da wich man gern auf den billigen Absinth aus. In den heruntergekommenen Spelunken wurde dem gemeinen Volk dann auch gern minderwertiger Indurstriealkohol ausgeschenkt, den man mit Wermut versetzte und den Gästen als Absinth auftischte.
Der Kampf um die Vormachtstellung in der Alkoholindustrie wurde schmutzig geführt. Wein galt als gesund, er zählte damals sogar zu den Grundnahrungsmitteln. Absinth hingegen wurde fortan als das Getränk des Teufels verschrien:
Die Grüne Fee lag im Dreck. Bei ihren Anhängern wurde «Absinthismus» diagnostiziert. Mit Versuchen an Meerschweinchen wurde aufgezeigt, dass die Spirituose zu Geisteskrankheiten führt. Der Mythos des gefährlichen Absinth war geboren.
Ein grausiger Dreifachmord führt zum Absinth-Verbot
1905 erschlug der Weinbergarbeiter Jean Lanfray aus der Waadtländer Gemeinde Commugny in einem Wutanfall seine schwangerere Frau und seine beiden kleinen Töchter. Er war Alkoholiker und trank jeden Tag fünf Liter Wein. Der Fall wurde europaweit in den Medien diskutiert und man kam zum Schluss: Schuld an dem Mordrausch war nicht der Wein, sondern die zwei zusätzlichen Gläser Absinth, die Lanfray in dieser verhängnisvollen Nacht getrunken hatte.
Am 7. Oktober 1910 war es so weit: Die Volksinitiative für ein Absinth-Verbot wurde mit 63,5 Prozent der abstimmenden männlichen Bevölkerung in die Verfassung aufgenommen. Die Grüne Fee lag am Boden – und stand für fast hundert Jahre nicht mehr auf. Aber ihr Geist war so leicht nicht abzutöten.
Dem schweizerischen Verbot folgte 1906 Brasilien, 1909 die Niederlande, 1912 zog die USA nach. Frankreich setzte den Absinth mit dem Verweis auf die nötige Wehrfähigkeit seiner Männer erst 1914, im Zuge des Ersten Weltkriegs, auf die schwarze Liste.
Im Val de Travers wird munter weitergebraut
Ein gewisses Tal liess sich vom Absinth-Verbot wenig beeindrucken. Das Val de Travers war arm, man lebte dort vom Wermut-Anbau, dem Verkauf des getrockneten Krauts und der Absinth-Destillation. Nach dem Verbot liess die Schweizer Regierung die Wermut-Felder im Tal unterpflügen – doch mit dem Brennen ihrer Grünen Fee hörten die Bewohner trotzdem nicht auf.
Im Schatten der Illegalität destillierten sie in schätzungsweise sechzig versteckten Brauereien an die 10’000 Liter jährlich und verkauften sie heimlich in verschiedene Teile der Schweiz.
Berthe Zurbuchen war die Königin der Schwarzbrennerei. 80 Jahre lang destillierte sie im Val de Travers illegal Absinth. Bis sie in einem Schauprozess in den 1960er Jahren zu 3000 Franken Strafzahlung verurteilt wurde. Den Richter soll sie nach dem Urteilsspruch gefragt haben:
Als Protest gegen die Feinde ihres Hochprozentigen strich sie ihr Haus absinthgrün.
Die Wiederauferstehung der Grünen Fee und die Entzauberung eines Mythos
Die Schädlichkeit von Absinth führte man lange Zeit auf den im Wermut enthaltenen Wirkstoff Thujon zurück. Das Nervengift löse Schwindel, Halluzinationen und Wahnvorstellungen aus, der Trinker kriege Depressionen und Krämpfe und könne sogar blind werden.
Inzwischen ist diese Theorie längst widerlegt: Die im Absinth enthaltene Thujonmenge reicht nicht aus, um derart toxisch zu wirken. Der wesentliche Faktor für die beschriebenen negativen Auswirkungen war der im Absinth reichlich enthaltene Alkohol, der zwischen 45 und 85 Volumenprozent liegt. Und der minderwertige Industriealkohol, der für den miserablen Fusel-Absinth verwendet wurde, besorgte den Rest.
Das so gefürchtete Krankheitsbild des Absinthismus beschrieb also in Wirklichkeit nicht viel mehr als die Leiden eines Alkoholikers.
Seit 1998 ist Absinth in den meisten europäischen Staaten wieder legal erhältlich und seit 2005 wird er auch in der Schweiz wieder hergestellt und verkauft.
Der Thujon-Gehalt wurde jedoch auf höchstens 35 mg pro Liter festgesetzt. Mehr fand man aber selbst in den so verteufelten Absinthen des 19. Jahrhundert nicht: Die modern ermittelten Durchschnittswerte bewegen sich zwischen 20 und 30 mg pro Liter.
Noch immer knüpfen die Absinth-Hersteller an die mythische Wirkung der Spirituose an – schon nach ein paar Gläschen würde man die aphrodisische Gefühle spüren und bizarre Träume haben, heisst es.
Doch ist es vielmehr so, wie Charles Baudelaire es ausdrückt. Um in den Endzeitrausch des Fin de Siècle einzutauchen, muss man sich einfach ordentlich zusaufen. Die psychoaktive Wirkung von Absinth ist schon immer ein Märchen gewesen.